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  • markusawill

Bald regiert digitales Geld die Welt!

Aber: Wenn wir nicht aufpassen, endet das in den «United States of Amazon & Co.»


Geld regiert die Welt. Den bekannten Spruch kann man mögen oder nicht, aber Geld bedeutet Macht. Aus diesem Grund liegt das Geldmonopol der Staaten auch bei ihren Zentral-, National- oder Notenbanken. Nur sie dürfen neues Geld begeben. Diese Machtverteilung steht durch das Aufkommen von digitalem Geld zur Disposition. Bitcoins & Co. sind in diesem Sinne zwar noch kein Geld, aber sie werden als Vermögenswerte, also Kryptoassets, im Internet der Dinge (IoT) eingesetzt. Und die ganze Cryptoszene setzt die verschlafenen Notenbanken gehörig unter Druck.

Denn bald regiert digitales Geld die Welt, um den obigen Spruch zu digitalisieren. Das lässt sich nicht aufhalten. Altes Geld ist zu dumm und zu langsam für das schnelle und über Daten allwissende Internet. Kleine Token, digitale Vermögenswerte, auf der Blockchain-Technologie in einer offen einsehbaren dezentralen Datenbank (distributed ledger) werden das Internet zunehmend überziehen, so wie «richtiges Geld» das in der nicht digitalisierten Welt getan hat. Auch Bitcoins sind «nur» Token. Zur Machtfrage später mehr. Zunächst zur Frage, was im Finanzsystem gerade passiert.

Im Internet of Things (IoT) werden kaum mehr Mittler benötigt. Zahlungen zentrieren sich nicht mehr um eine Bank, wie wir sie kennen – mit Ein- und Auszahlungen, mit Soll und Haben auf dem T-Konto. Deren Geschäftsmodell und damit wohl auch das austarierte Finanzsystem steht vor der Disruption. Zahlungen der Zukunft werden sich in einem Netzwerk mit marktähnlichen Plattformen in so genannten Ökosystemen mit einer eigenen digitalen Währung zentrieren. Man spricht auch von der Tokenisierung der Dienstleistungen sowie der Waren- und damit verbundener Zahlungsströme.

Dass die etablierten Banken zur Disposition stehen könnten, ist nicht das wirkliche Problem, sondern die Verlagerung des Geldmonopols von Staat auf Private. Bis vor kurzem sahen die Staaten und ihre Zentralbanken dem Aufkommen Tausender von «Kryptowährungen» fast teilnahmslos zu und behalfen sich mit dem Hinweis, dass dies ja kein Geld oder eine Währung (Money oder Currency), sondern nur ein Vermögenswert (Asset oder Security) sei. Das scheint sich jetzt zu ändern. Fieberhaft arbeiten die Zentralbanken an Govcoins, an digitalen Alternativen zu Bitcoins & Co.

Was kann digitales Geld denn, was – nennen wir es – analoges Geld nicht kann? Und was unterscheidet digitales Geld von digitalisierten Zahlungsvorgängen? Im Grunde ist es ganz einfach: Digitalisierte Zahlungsvorgänge machen das alte Geld zwar etwas schneller, aber es bleibt immer noch account based money und läuft über das T-Konto eines Finanzdienstleisters. Digitales Geld ist hingegen token based money und läuft über die dezentrale Ledger-Blockchain-Technologie, die sich jedes Ökosystem schaffen kann und damit die Finanzdienstleister aussen vorlässt. That`s all!


Das kann im Kleinen der «Kühlschrank mit Prokura» sein, der nicht nur selbst einkauft, sondern auch die Musik, den Wein und die Kerzen aussucht, die er gegebenenfalls nachbestellt. Sollte der Kühlschrank eine Art «Dirigent des Orchesters» dieses Ökosystems sein, dann weiss er das das alles, weil er die Hoheit über die Daten hat und die Vorlieben des Besitzers und der Gäste kennt. Ist das Geld technisch in der Lage, die Kauforder ans digitale Geld anzuhängen, gibt es keinen Grund mehr, im schnellen Internet der Dinge jemanden dazwischenzuschalten.

Man kann sich viele solcher kleinen Ökosysteme vorstellen: Rund um den Sport, rund um das Auto, das Reisen oder Mobilität, rund um Bildung, rund um eigentlich alles. Man kann sich auch vorstellen, dass diese Systeme sich vernetzen, wenn man beispielsweise Sport und Essen mit Reisen und Freunden verknüpft. Dann bräuchte es einen Austausch der jeweiligen digitalen Gelder, so wie es Wechselkurse zwischen Währungen gibt. Oder man hätte eine verbindende schlaue digitale Währung für alle kleinen Ökosysteme, so wie das in der alten analogen Welt ja auch der Fall ist.

Der Begriff des Ökosystems kommt ursprünglich aus der Biologie, genauer aus der Ökologie. Das sind kleine Lebensgemeinschaften in einem Biotop. Wirtschaftlich betrachtet sind das eher Interessengemeinschaften, die vor allem durch ihre Vernetzung leben. So ein Ökosystem kann man sich aber auch ganz gross vorstellen. Wie Amazon, Apple, Google oder Facebook beispielsweise, die längst mehr bieten als nur Bücher, Computer, Suchen oder Gesichter. Sie vermischen E-Commerce mit Social Networks. Im Grunde bieten die Tech-Giganten alles an. Nur noch kein eigenes Geld.

Nehmen wir Amazon: Da kann man (fast) alles und jedes im Netzwerk kaufen und verkaufen: vom Auto, über Bücher, Cola, (legale) Drogen, Essen bis hin zu Häusern, Kühlschränken, Urlauben und Zahnpasta. Amazon ist eine Ansammlung vieler kleiner Ökosysteme wie eine Seenlandschaft, die über Kanäle verbunden ist. Amazon ist ein grosses System mit unendlich viel Datenfluss. Daten sind die wahre «Währung» im digitalen Zeitalter. Amazon wäre der Dirigent des grossen Datenorchesters. Dummerweise müssen sie allen bislang die Daten über die Geldströme mit den Banken teilen.

Wie im Kleinen so gäbe es auch hier im Grossen für die Nutzer kaum einen Grund, sich ausserhalb des Systems zu sortieren, falls das System alles anbietet, was man sucht. Erst recht nicht, wenn dieses Ökosystem auch noch sein eigenes Geld hat. Da Amazon eigentlich alles anbieten kann, könnte es sich eben auch sein eigenes Geld leisten und bräuchte im Prinzip keinen Austausch mehr mit anderen Netzwerken. Man wäre «Amazonian» oder «Appler» oder beispielsweise ein «Googlecitizen». So wie man Amerikaner, Chinese, EU-Bürger oder wieder abgetrennter Brite wäre.


Damit wären wir zurück bei der Machtfrage: Denn denkt man das zu Ende, müsste man sich Amazon, Apple, Facebook oder Google ein bisschen so vorstellen wie eine Art Staat, in dem es die gesellschaftliche Dimension des Netzwerks (Social Networks) und die wirtschaftliche Dimension der Plattform (E-Commerce) gibt. Und für die Recheneinheit, das Tauschmedium und auch für die etwaige Wertaufbewahrung eigene Währungen. Im Kern funktionieren Staaten exakt so: Eine Gesellschaft mit einer arbeitsteiligen Wirtschaft. Und damit das Tauschen einfach ist, gibt es Geld.

Eine fürchterliche Vorstellung, nicht wahr? Die «United States of Amazon & Co.» Wirtschaftlich hätte das alles Sinn, und es gäbe keinen Grund, warum die Tech-Giganten diesen Wettbewerbsvorteil nicht ausnutzen sollten. Selbst die Cryptoszene hat im Kern Angst vor so einer Machtballung bei Amazon & Co. Die «USAm» wäre eine Art freischwebender Superstaat, der sich nur die Waren und Dienste irgendwo auf der Welt einkauft und irgendwo auf der Welt wieder verkauft. Der digitalisierte globale Handel bekäme noch einmal eine ganz andere Dimension.

Das ist kein so utopisches Szenario, zumindest solange man die Tech-Giganten frei agieren lässt. Keine Gebühren mehr an eine dazwischengeschaltete Bank, Versicherung, Makler oder so. Sie würden über die Daten wissen, wer wie solide und vermögend ist oder eben nicht. Der eine bekäme einen Kredit, der andere nicht. Zu guter Letzt käme der eine vielleicht noch in das Netzwerk rein, der andere nicht. Datenanalysen würden zu Einlasskontrollen – wie unsichtbare Grenzen. Wieso? Je grösser diese Netzwerke mit ihren Plattformen würden, desto eher werden sie zu Monopolen.

Die haben Marktmacht und entscheiden, wer dabei ist. Bei den Milliarden von «Mitbürgern», mit digitaler Infrastruktur für die reale Wirtschaft und eigener Währung, aber ohne Staatsgebiet und ohne ein politisch legitimiertes System. Das kann niemand wollen. Wohl aus diesem Grund hat die westliche Welt der Libra- beziehungsweise Diem-Idee von Facebook & Co. erst einmal Einhalt geboten. Das verrückte an Libra-Diem ist allerdings, dass die Idee wirklich gut und durchdacht ist, weil man das digitale Geld erst einmal mit «echtem» Geld kaufen und hinterlegen müsste.


Nun bin ich kein Politikwissenschaftler, sondern Wirtschaftswissenschaftler mit einer geldtheoretischen Ausbildung. Als solcher bin ich ein Verfechter der Idee, dass Geld Teil der Staatsraison ist und bleiben muss – wie das Militär beispielsweise auch. Die Cryptonians dieser Welt sind eine Art Söldnertruppe des globalen Finanzwesens. Und digitaler Söldnersold ist bereits aber bereits da, weil das Internet es benötigt. Deshalb wird es allerhöchste Zeit, dass die Staaten und ihre Zentralbanken die Hoheit über das digitale Geld zurückerobern.

Genau an dieser Stelle werden die Cryptonians wohl laut aufschreien. Aus einem einfachen Grund: Sie trauen den Zentralbanken nicht mehr. Wenn man die Kommentare in den Sozialen Medien verfolgt, ist das der Kern der Argumentation: Die Zentralbanken hätten ihre Rolle als Hüter der (Geldwert)stabilität bereits längst kampflos gegen die Politik aufgegeben. Lange nicht alles, was die Zentralbanken machen, ist gut. Aber vor allem ist eines derzeit schlecht: Sie haben lange, vielleicht zu lange gewartet und sich nicht wirklich erklärt. Denn bald regiert digitales Geld die Welt!

In den nächsten Wochen werde ich immer wieder Aspekte dieser zweifelsohne faszinierenden digitalen Innovation aufnehmen und/oder aktuelle Entwicklungen beleuchten – sozusagen als sachliche Ergänzung zu meinem unterhaltenden Thriller «Die Dark Bankerin». Das wird ein hübscher Diskurs mit den Cryptonians werden, aber er ist die Sache wert. Denn so gerne ich meine Bücher bei Amazon verkaufe, so sehr möchte ich die «United States of Amazon & Co.» verhindern. Und die stünden am Ende der Entwicklung. Man muss nur die Geschichte des Geldes studieren.

Ich habe das unbestimmte Gefühl, dass die ganzen NFT-Yunkies, Crypto-Fetischisten und Digital-Anarchos über diese grundsätzliche Frage noch nicht wirklich nachgedacht haben. Nichts gegen Cryptocurrencies, aber mindestens möchte ich das private digitale Geld im Wettbewerb mit staatlichem digitalem Geld sehen. Sollten die bisherigen Coins es dann wirklich nicht nur smart, sondern auch für sich safe sein (ohne durch echtes Geld unterlegt zu sein), dann müssten sie sich nach den Gesetzen der Ökonomie durchsetzen. Aber das ist eine andere Geschichte.


Markus A. Will

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